In loser Folge dokumentiert ostfussball.com in dieser Rubrik mehr oder weniger (ost)fußballtangierende Kostbarkeiten der deutschen Schriftsprache – unkommentiert, da die Fundstücke zumeist einiges schon selbst postulieren, dabei ihrerseits sprechen oder eben einfach nur Geschichten über die Geschichte zu erzählen scheinen, welche wiederum den Leserinnen und Lesern von ostfussball.com als kleiner und wie auch immer weiterbildender Lesetipp mitnichten vorenthalten werden sollen …
(…) Kein Ost-Klub in der Bundesliga, nur drei von 18 Klubs in der zweiten Liga aus den neuen Bundesländern: Sportlich gesehen fällt es 20 Jahre nach der Wiedervereinigung schwer, von einer deutschen Fußball-Einheit zu sprechen. Um die Gegenwart zu verstehen, hilft ein Blick in die Vergangenheit. Buchautor Uwe Karte wagt einen solchen. Im (…) Buch “Spiel ohne Grenze – 20 Jahre Fußball-Einheit” werden Glanzzeiten und Tiefpunkte des DDR-Fußballs geschildert und ein Blick auf die Fußballgegenwart in den fünf neuen Bundesländern geworfen (…) [mdr.de]

Frage: Uwe Karte, in Ihrem Buch “Spiel ohne Grenze” gehen Sie 40 Jahren DDR-Fußball und 20 Jahren Nachwende-Fußball im Osten auf die Spur. Kann man die 248 Seiten auf eine Botschaft reduzieren?
Uwe Karte: Schwierig. Sehen Sie, unsere Nationalmannschaft läuft in den Farben schwarz und weiß aufs Feld. Beim Thema deutsch-deutscher und speziell ostdeutscher Fußballgeschichte gibt es aber kein Schwarz-Weiß. Ich versuche, die Grautöne herausarbeiten und zu zeigen, dass die Grautöne immer auch bunt sein können.
Kann man es auf eine kurze Aussage bringen, wie der Ostfußball funktionierte und warum es nach der Wende so viele Probleme gab?
Hans Meyer hat mir ein gutes Beispiel genannt: Er war Ende der 1980er-Jahre Trainer von Rot-Weiß Erfurt. Bei drei Siegen (…) gegen Fortuna Düsseldorf oder Standard Lüttich im Intertoto-Cup hatte RWE im Schnitt 24.000 Zuschauer, das brachte zusätzliche Einnahmen von 300.000 DDR-Mark. Doch das Geld landete komplett beim zentralen Sportverband DTSB in Berlin. Warum sollte ein Verein das nächste Mal wieder Interesse daran haben, das Stadion zu füllen? Man hatte ja nichts davon. Im Jahr darauf lief es für Erfurt nicht so gut, man machte in dieser Sommerrunde 50.000 DDR-Mark Minus. Was passierte? Die Erfurter haben in Berlin angerufen und vom Verband 50.000 Mark überwiesen bekommen. Das erklärt ein Stück weit, warum der Osten sich zur Wende so schwer getan hat. Von heute auf morgen musste man ganz anders mit Geld umgehen.
Sofern die Klubs im Osten überhaupt Geld hatten.
Das kommt dazu, die finanziell tragenden Säulen sind weggebrochen. Ein DDR-Klub hatte ja als Finanzier einen sogenannten Trägerbetrieb, bei Lok Leipzig war das die Deutsche Reichsbahn, bei Magdeburg das Schwermaschinenbaukombinat oder bei Rostock die Deutsche Reederei und dazu die staatliche Förderung durch den DTSB. Was ist 1990 passiert? Viele Trägerbetriebe wurden dicht gemacht, der DTSB aufgelöst. Damit brachen die Einnahmen über Nacht komplett weg. Zudem gingen die Zuschauerzahlen fast um die Hälfte zurück. Und dann kommt jemand und sagt: Ihr spielt jetzt mit in der Bundesliga. Da ist es aus der heutigen Sicht doch fast ein Wunder, dass es den Ostfußball überhaupt noch gibt.
Die Gegenthese ist, dass die Vereine Spieler verkaufen konnten und am Beispiel Dynamo Dresden oder BFC Dynamo auch sehr ordentliche Einnahmen erzielten. Erst die Misswirtschaft in den Vereinen brachte die Klubs in wirtschaftliche Not.
Misswirtschaft und Unwissenheit haben ihren Teil beigetragen. Um die Einnahme-Ausfälle zu kompensieren wurden Spieler verkauft. Dynamo Dresden hat im Jahr nach der Wende meines Wissens 114 Angestellte gehabt. Das ist heute undenkbar. Um die Kosten zu decken, wurden die besten Spieler verkauft, dann die Zweitbesten, dann die Mittelmäßigen. Und dann versuchst du, Ausgaben zu sparen und sparst auch am Nachwuchs. Die Trainer wurden entlassen, die Ausbildung von jungen Spielern als Zukunftskapital quasi eingestellt.
Was wäre die Alternative gewesen?
Der Vorwurf geht gar nicht an die Vereine, so war nun einmal die Struktur des Ostfußballs. Es war unmöglich, diese ohne Kollateralschäden auf die neuen Anforderungen zu transformieren. Zwei Verbände, die von ihren existentiellen Grundlagen überhaupt nicht zueinander gepasst haben, wurden vereinigt.
Sie schreiben, man müsse die Nachkriegsgeschichte kennen, um die Probleme 1990 verstehen zu können.
Der Osten hatte schon 1949 eine eigene Oberliga eingeführt und war damit dem Westen 14 Jahre lang voraus, denn erst 1963 gab es dort die Bundesliga. Die DDR konnte den Vorsprung aber nicht nutzen, denn die Oberliga stand immer nur unter der Fuchtel der Politik. Das Grundübel, warum der DDR-Fußball bis auf wenige Ausnahmen international nie die ganz große Rolle gespielt hat: In der DDR war der Fußball zu oft Spielball der Politik. Die Geduld, den Fußball wachsen zu lassen, gab es nicht. Schnelle Erfolge waren gefragt. In der BRD war das anders.
Dafür kann man heute sagen, dass die Ost-Vereine die spannenderen Themen liefern. Worum ging es im Westen? Um Auf- und Abstieg, dass der Präsident vielleicht mal einen Schnupfen hatte, und dann war mal der eine oder andere Verein pleite. Viel aufregender dagegen, was ein Erstligist im Osten durchgemacht hat. Die ganze Mannschaft von Empor Lauter wurde nach Rostock verlegt, Vorwärts erst von Leipzig nach Berlin, dann nach Frankfurt (Oder), Umbenennungen, Eingriffe, Spieler verhaftet, Flucht in den Westen, …, das ist irre und irre spannend. Und dazu die Wende. Ein Westverein hatte kaum einen Bezug dazu, für einen Ostverein war es der radikalste Schnitt, den du Dir vorstellen kannst.
Ist die deutsche Fußball-Einheit heute vollzogen?
Vielleicht so: Ja, weil wir eine strukturelle Einheit haben. Und nein, weil es keinen Verein im Osten gibt, der in der ersten Liga spielt. Also ja und nein. Und da bin ich wieder bei der Ausgangsthese: Es gib kein Schwarz und Weiß.
[Interview-Auszug, “Fast ein Wunder, dass es den Ostfußball noch gibt”, mdr.de, 16. November 2010, 19:19]